Ali Mitgusch in seinem Schwabinger Atelier
Ali Mitgusch in seinem Schwabinger Atelier

Mit den Augen eines Kindes

Mit seinen »Wimmelbüchern« will der Münchner Kinderbuchautor und Illustrator Ali Mitgutsch Kindern einen optimistischen Blick auf die Welt eröffnen.

Lesen Sie hierzu den Bericht

 

Die Generation "Man müsste mal"

Der Wunsch, sein Leben umweltfreundlicher und sozialverträglicher zu gestalten, beschäftigt zum Jahreswechsel viele Menschen. Doch meist bleibt es bei guten Vorsätzen. "Wir sind die Generation 'Man müsste mal'", urteilt die Autorin Claudia Langer. 

 

Finden Biogasbauern in Blumen die Alternative zu Mais?

Am Bodensee haben sich Landwirte zusammengetan, um Wildpflanzen eigens für Biogasanlagen anzubauen - ein ökologisches Hoffnungszeichen.


Lesen Sie dazu hier den Bericht

Feature

Deutschlands Dörfer machen grün

Mauenheim/Wildpoldsried (epd).
Die Orte sind klein, ihr wirtschaftlicher und ökologischer Nutzen für die Region ist außerordentlich: Bioenergiedörfer produzieren Strom und Wärme weitgehend selbst, vor allem auf Basis von Biomasse aus der Region. Sie sind Vorreiter in Sachen regenerativer Energien, verschaffen ihren Einwohnern Versorgungssicherheit und sorgen für ein „Wir-Gefühl“.


Im badischen Bioenergiedorf Mauenheim versorgt seit Dezember 2006 die Biogas- anlage zweier Landwirte das 430-Einwohner-Dorf mit Strom und Wärme. Derzeit sind 72 Gebäude an das vom Blockheizkraftwerk gespeiste Nahwärmenetz ange- schlossen - darunter das Rathaus, das Pfarrheim, die Dorfgaststätte. Auch eine Hackschnitzelheizung speist Energie in das Netz ein, eine Photovoltaikanlage erzeugt zusätzlichen Ökostrom.


„Alles, was wir an Energie verbrauchen, wird hier hergestellt, das Geld bleibt in der Region“, sagt Landwirt Keller. Seine Biogasanlage am Ortsrand beliefert das Blockheizkraftwerk mit rund 500 Kilowatt elektrischer Leistung. Mehr als vier Millionen Kilowattstunden Strom werden jährlich erzeugt. Das entspricht in etwa dem zehnfachen des gesamten Mauenheimer Strombedarfs.


Zusätzlich fällt eine nutzbare Abwärme von rund 3,5 Millionen Kilowattstunden an. Umgerechnet entspricht das etwa 350.000 Litern Heizöl und dem Wärmebedarf des gesamten Ortes. Um diese Ausbeute zu erreichen, werden pro Stunde rund 1.200 Kilogramm Biomasse in die Fermenter gefüllt - zu je einem Drittel Mais, Kleegras/Luzerne und Mist von Rindern und Schafen.


„Wir müssen darauf achten, dass wir die Biomasse nachhaltig produzieren“, sagt Andreas Schütte, Geschäftsführer der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V., die 1993 auf Initiative der Bundesregierung gegründet wurde. Er verweist auf die aktuelle Kritik um die Verwendung der Energiepflanze Mais zur Biogaserzeugung: Der Anbau von Energiepflanzen dürfe die Produktion von Nahrungsmitteln und die Artenvielfalt nicht bedrohen, Biomasse dürfe nicht verschwendet werden.

 

Wie der Fachverband Biogas betont, sind derzeit Alternativen zu Mais auf dem Vormarsch: schnellwachsende Grassorten, Wildpflanzen und die gelb blühende Durchwachsene Silphie.


Insgesamt gibt es nach Schüttes Angaben in Deutschland bereits mehr als 100 bestehende oder in der Umsetzung befindliche Bioenergiedörfer. Seit dem ersten bundesweiten Wettbewerb Bioenergiedörfer 2010 habe sich die Anzahl der Bioenergiedorf-Initiativen vervierfacht.


„Was Besseres hätten wir uns nicht vorstellen können“, sagt die Mauenheimerin Sandra Bender, die mit ihrem Mann und ihren drei Kindern ein Haus in der 

bausiedlung bewohnt. Seit sechs Jahren ist ihr Haushalt an das Nahwärmenetz angeschlossen, Wärme und Strom kommen aus dem Dorf, pro Kilowattstunde Heizenergie sparen die Mauenheimer sieben Cent. Dort, wo früher zwei große Öltanks samt Brenner standen, trocknet die 36-Jährige heute die Wäsche, der ehemalige Waschraum ist zum Kinderzimmer von Tochter Ronja umfunktioniert.


„Mit dem Nahwärmenetz sind die Bewohner jetzt technisch unabhängig“, sagt die Agrarbiologin Jutta Gaukler, deren Firma solarcomplex Anlagen zur Wärme- und Stromherstellung aus erneuerbaren Energien baut und Mauenheim auf dem Weg zum Bioenergiedorf begleitet hat.


„Die Bürger müssen die Investitionen nachvollziehen können und dahinter stehen“, weiß auch Arno Zengerle, Bürgermeister des Vorzeige-Energiedorfs Wildpoldsried im Oberallgäu. Die Bürger von Wildpoldsried verdienen mit Sonne, Wasser und Biomasse - dank Energieeinspeisevergütung. 2011 habe man zusammen einen Ertrag von mehr als vier Millionen Euro erzielt.


Die Gemeinde produziert schon heute regenerativ dreimal mehr Strom als sie selber verbraucht. Auf den Hügeln ragen Windräder in den Himmel, rund ein Viertel der Dächer ist mit blau-schimmernden Photovoltaikanlagen gepflastert, der dominierende Baustoff im Dorf ist Holz: Ob Windkraft, Photovoltaik, Biogas oder Wasserkraft: Den Kohlendioxid-Ausstoß habe Wildpoldsried durch den Ausbau der erneuerbaren Energien um mehr als 80 Prozent verringert. 

 

Ausstellung in Lindau zeigt eindrucksvolle Porträts von 100-jährigen

Bericht

Die Schönheit des Alters

14 Sonntagsblatt AUGSBURG UND SCHWABEN Nr. 20 • 13. Mai 2012


Unter dem Motto »Mit 100 hat man noch Träume« sind bis zum
31. Mai im Maria-Martha-Stift in Lindau Fotografien von Menschen
jenseits der 100-Jahre-Grenze zu sehen. Die Porträts des Fotografen Karsten Thormaehlen überzeugen durch Würde, Stärke und Schönheit – trotz Falten und grauen Haars.


Meine Urenkel kommen mich oft mit ihren Kindern besuchen,
das macht mich sehr stolz«, ist unter dem Porträt der braunäugigen
ehemaligen Friseurladenbetreiberin Hedwig Knoll (1907-2009) gleich zu Beginn der Ausstellung zu lesen. Ein Satz, der nachdenklich macht, weil er als Destillat am Ende eines langen Lebens steht.

 

"Sie brachte unsere 10 Kinder zur Welt"


Wenige Meter weiter ist das Gesicht von Kurt Ziesemann
(1903-2010) zu sehen, der als Landwirt und Melker in der ehemaligen
DDR arbeitete. Er trägt eine große Hornbrille, seine Mundpartie ist durchfurcht von Falten. »1958 mit 54 heiratete ich Hildegard«, steht unter dem Foto. »Sie brachte unsere 10 Kinder zur Welt.« Rund 50 Personen hat der bekannte Frankfurter Fotograf Karsten Thormaehlen zwischen 2006 und 2011 in ihren Wohnstiften und Häusern in Berlin, Potsdam, Havelberg, Oranienburg, Mainz, Darmstadt, Mannheim und München besucht und davon rund 40 porträtiert.

 

Alt sein kann Spaß machen


Seine Bilder fanden als Wanderausstellung unter dem Namen »Jahrhundertmensch« in Österreich, der Schweiz und Deutschland große mediale Beachtung und wurden nun zur Ausstellung »Mit 100 hat man noch Träume« aktualisiert, die jetzt entlang der Flure des Alten- und Pflegeheims Maria-Martha-Stift und im Begegnungsraum für Besucher und Bewohner zu sehen sind«.

 

»Die Faszination lag darin, Menschen zu treffen, die 100 Jahre gelebt haben, also doppelt so lange wie ich selbst, nicht unter Demenz litten und manchmal noch für sich selbst sorgten«, so der 1965 geborene Thormaehlen. Es sind Menschen wie Erwin Häuseler und Erika Elitz, die mit ihren Gesichtern deutlich machen, dass Alter mehr ist als Vergänglichkeit und Verfall, dass alt sein Spaß machen kann. Thormaehlen wählt ein einfaches und dabei sehr eindrucksvolles Konzept, um seine in die Jahre gekommenen Charaktere den Betrachtern nahezubringen.

 

Den rund 40 Porträts wird jeweils ein Zitat der Porträtierten zur Seite gestellt. »Mit 100 spiele ich gegen meinen Sohn Bernd noch gute Schachpartien«, steht bei Erwin Häuseler aus Berlin. Die Augen des 1909 geborenen Häuselers versprühen den Charme eines gewitzten Teenagers, verbunden mit der Lebenserfahrung eines Gentlemans, der um die Kraft von Gelassenheit und Humor weiß. Mit seiner Frau Käthe war Häuseler 75 Jahre lang verheiratet. Die beiden zelteten gerne und fuhren oft mit dem Boot zum Angeln.

 

Ein Gefühl von Romantik, Nostalgie und Respekt

Wenige Schritte weiter fasziniert »Erika Elitz, Berlin, 2011«, kinnlange Haare, rote Lippen, Jahrgang 1910, deren feingezeichnetes Gesicht ladylike und erhaben auf den Betrachter blickt. Das Credo der abgebildeten 102-jährigen: »Behandle die Menschen stets so, wie du auch behandelt sein möchtest.« Das Porträt wurde 2011 von der Londoner »National Portrait Gallery« ausgezeichnet.

 

»Wenn man sich überlegt, man berührt ein 100 Jahre altes Möbelstück, ein Kleidungsstück, oder man geht in ein 100 Jahre altes Haus, dann fühlt sich das sehr nach Vergangenheit an, es erzeugt ein Gefühl von Romantik, Nostalgie und auch Respekt«, so Thormaehlen. Die Porträtierten seien genauso alt und trügen ein Stück der Welt von vor 100 Jahren in sich. Fasziniert ist der Fotograf von der Disziplin, die seine Modelle vor der Kamera zeigten. Er sei überrascht gewesen, welche Mühe sie sich gaben, seinen Anweisungen zu folgen. »Das ist in meinem Alltag nicht immer so.«

 

Spuren des Lebens

 

»Jeder möchte alt werden, aber keiner alt sein«, so Anke Franke, Leiterin des Maria-Martha-Stifts. Die Bilder der Ausstellung nähmen ein Stück Angst vor dem Alter und verdeutlichten, dass Alter auch Schönheit in sich bergen könne. Wie Franke betont, passe die Ausstellung daher »wunderbar « zum Jubiläum anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Stifts, das mit einem bunten Rahmenprogramm und hochkarätigen Referenten wie dem Theologen und Soziologen Reimer Gronemeyer zu den Feierlichkeiten einlädt. Durch seine Porträts zeige der Künstler Spuren des Lebens und bewahre gleichzeitig die Würde der 100-Jährigen, so Franke. Durch die Integration der Fotografien in die Räumlichkeiten des Stifts würden zudem die Stiftbewohner zum Dialog miteinander und zum Nachdenken über ihr eigenes Leben angeregt. (Hanna Spengler)

Die Ausstellung ist täglich von 9 bis
20 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei.
Die Anschrift des Maria-Martha-Stifts:
Zwanziger Straße, 88131 Lindau.

 

„Ich suche Freunde, die ich nicht kenne“

Ehemaliger Erziehungsminister der afghanischen Provinz Khost zu Gast im Oberallgäu

  

Er ist ein kompromissloser Kämpfer für den Frieden, ein Mann, der an die Macht der Bildung glaubt. Charismatisch und ohne falsche Rücksichtnahme sprach Khazan-Gul, Lehrer, ehemaliger Erziehungsminister der Provinz Khost im Südosten Afghanistans und einstiger Mudschahedin-Kommandant, im Rahmen der Vortragsreihe „Gesichter der Erde“ in Bihlerdorf bei Sonthofen über seine Arbeit, sein Verständnis von Ehre, den Krieg und die Rolle der Familie in seinem Heimatland.

 

Seine Geschichte hätte viele Verhaltensweisen gerechtfertigt. Er hätte intrigieren können. Verbittert, in Hass gehüllt, die Verweigerung praktizieren. Khazan Gul, Lehrer und Oberhaupt einer afghanischen Großfamilie, tritt an diesem Abend mit langgewachsenem Bart, schwarzer Brille, makellos weißen Gewändern, Turban und akzentfreiem Deutsch vor rund 90 Oberallgäuer, darunter vier afghanische Familien. Der Paschtune hat sich für den kritischen Dialog auf Augenhöhe entschieden. Er will erzählen – von sich, seiner Arbeit, seinem Land.

 

Drei Jahre warten auf das Visum

 

Drei Jahre musste Khazan Gul auf sein Visum warten. Nur durch die Unterstützung des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen) wurde kurzfristig ein Visum für einen einmonatigen Aufenthalt in Deutschland möglich. Jetzt tourt der Afghane mit seinem Vortrag durch zahlreiche Städte – unter anderem Heidelberg, Ulm und Sonthofen.

 

„Mein Name bedeutet übersetzt Herbstblume“, erläutert Khazan Gul. Offiziell ist sein Geburtsdatum der 1. Mai 1945. Ein Beamter habe dieses Datum in seinen Pass geschrieben. Das genaue Geburtsjahr sei nicht bekannt. Von 1964 bis 1973 studierte er in Frankfurt am Main Mathematik und Physik auf Lehramt und lebt heute mit zwei Frauen, 14 Kindern und sechs Enkelkindern außerhalb der Stadt Khost, 250 Kilometer südöstlich von Kabul in einer Gebirgsregion nahe der Grenze zu Pakistan. „Meine Familie ist wie eine kleine Organisation“, sagt er. Und der einzige Schutz in einem Land, in dem es keine Sicherheit außerhalb der Familie gibt.

 

Der Wert der eigenen Familie

 

Und weil der Wert und die Ehre der eigenen Familie über allem stehen, ist laut Khazan Gul die Wahl einer Ehefrau nicht nur eine individuelle Entscheidung, sondern auch eine, die die ganze Familie betrifft. „Alle heiraten schließlich diese Frau. Scheidung kennen wir in Afghanistan nicht.“ Khazan Guls deutsche Frau Johanna, Rentnerin und früher Dozentin an einer pädagogischen Hochschule, lebt noch heute in Frankfurt am Main. „Bei ihr wohne ich, wenn ich in Deutschland bin, wir haben uns nie getrennt“, sagt er. „Sie hat mich unterstützt, nach Afghanistan zurückzukehren, um dort meine Arbeit zu tun, und sie unterstützt meine Arbeit bis heute.“

 

Stete Bildungsarbeit und die Förderung der Landwirtschaft sieht Khazan Gul als zentrale Säulen einer besseren Zukunft für sein Land an. In seiner kurzen Zeit als Erziehungsminister nach dem Sturz des Taliban-Regimes gründete er mehr als 50 Schulen. In den vergangenen zehn Jahren wurden zudem auf seine Initiative hin acht Schulgebäude gebaut, teils auf 2500 Metern Höhe gelegen. Zudem ist es ihm gelungen, die erste Mädchenschule im Tani-Bezirk zu errichten. Gelder erhält er dafür aus Deutschland und der Schweiz.

 

"Früher waren sie wie Verwandte"

 

Als der afghanische Entwicklungshelfer über den Krieg berichtet, kennzeichnet Verbitterung seine Worte. „Mein Wunsch, dass Afghanistan einmal ein freies, selbstbewusstes Land wird, ist derzeit nicht zu erreichen. Die Meinung vieler Afghanen gegenüber den Deutschen hat sich durch den Krieg geändert. Wir denken jetzt nicht mehr so gut über die Deutschen. Früher waren sie wie Verwandte – keine Ausländer. Jetzt denken wir Afghanen eher, die Deutschen sind wie die Amerikaner. Die beiden Mächte haben sich angenähert.“

 

Auf eine Nachfrage hin bestätigt Khazan Gul, dass in Afghanistan allgemein bekannt sei, dass der Westen die Taliban über Schutzgelder für Transporte und Bautätigkeit mitfinanziere. Zudem hielten die westlichen Länder die Afghanen durch unverhältnismäßig hohe Geldzahlungen in Abhängigkeit. „Sie haben künstlich unseren Lebensstandard erhöht. Wir sind alle bezahlte Diener. Unsere jetzige Regierung könnten wir Afghanen nicht finanzieren.“ Mit deutlichen Worten verurteilt er die Waffenproduktion und den Waffenhandel in Deutschland. „Aus unserem Blut werden hier Leute dick. Aber“, fügt er hinzu, „dann heißt es, unser Opium ist gefährlich“.


Gemeinsam neue Zukunft aufbauen

 

Hoffnung auf eine Besserung für sein Land hat er dennoch, wenn auch nicht viel. „Wir wollen nicht, dass die Amerikaner uns jetzt im Stich lassen, jetzt, wo sie so viel kaputt gemacht haben.“ Viel wichtiger sei es, gemeinsam mit den Afghanen an einer neuen Zukunft zu bauen, den Afghanen wirklich mehr Rechte zu geben, ihnen zu vertrauen, anstatt sie abhängig zu machen und als Diener zu halten, die sie nie sein würden. „Derzeit verdient man als Soldat viermal so viel wie als Lehrer“, kritisiert der Referent.

 

Beschlossen, bis zum Schluss zu kämpfen

 

Warum ist Khazan Gul trotz akuter Gefahr nach Deutschland gereist? „Ich suche Freunde, die ich nicht kenne, Menschen, die wie ich eine Welt ohne Krieg wollen“, erklärt er. Dass er dabei Schwierigkeiten in Kauf nimmt, ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. 2009 wurde Khazan Gul bei der Fahrt durch die Provinz Khost Opfer eines Mordanschlags. Seinen Lungendurchschuss überlebte er nur knapp, ein Freund ließ bei dem Attentat sein Leben. Aufgeben oder Rückzug gibt es für den Paschtunen nicht. „Ich habe beschlossen, bis zum Schluss zu kämpfen“, so sein Credo in einem Interview mit einem Schweizer Journalisten, das er noch im amerikanischen Militärkrankenhaus in Afghanistan auf dem Operationstisch vor laufender Kamera führte. „Ich habe immer gegen Schwierigkeiten gekämpft“, sagt er auch heute in Bihlerdorf. „Aber ich kämpfe ohne Waffen.“  (Hanna Spengler)

 

 

Spendenmöglichkeit:

Evangelische Gemeinde Eppelheim

Sonderkonto Afghanistan

Dresdner Bank Eppelheim

BLZ: 672 800 51

KN: 04901952 02

Betreff: Mädchenschule Afghanistan

 

Feature

Neues Mobilitätszeitalter: Teilen statt besitzen

"Nutzen wird wichtiger als Besitzen": Trendforscher des Zukunftsinstituts Kelkheim prognostizieren in ihrer Studie "Zukunft der Mobilität 2030" einen Mentalitätswandel.

Mobilität - "Mein Auto, dein Auto, unser Auto" - beim Thema Mobilität prognostizieren Zukunftsforscher einen Mentalitätswandel: Nutzen wird wichtiger als Besitzen.


 Von Hanna Spengler

 

Für Jutta Eggers aus Lindau am Bodensee ist Car-sharing die selbstverständlichste Sache der Welt: "Es hat ja auch nicht jeder ein eigenes Hallenbad", sagt sie, parkt den Car-sharing-Kleinbus und legt den Schlüssel ins Handschuhfach. "Und durch das Teilen der Wagen teilt sich für mich als Nutzerin auch die Verantwortung". Die 49-jährige Sozialpädagogin sieht nur Vorteile: "Wenn etwas am Auto kaputt ist, gebe ich den Schlüssel ab und muss mich nicht weiter drum kümmern."

Wie bewegen wir uns in Zukunft? Die Trendforscher des Zukunftsinstituts Kelkheim prognostizieren in ihrer Studie "Zukunft der Mobilität 2030" einen Mentalitätswandel und das Ende des Kulturmodells Massenmotorisierung. Ihre These: "Nutzen wird wichtiger als Besitzen."

 

Schwelle zu einem neuen Mobilitätszeitalter

 

"Wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Mobilitätszeitalter", sagt Thomas Huber, Co-Autor der Studie. Bisher sei Mobilität vor allem motorisierte Individualmobilität gewesen. "Jedem sein Auto, jeder fährt, wann und wo er will." Dieses Modell stoße jedoch angesichts zunehmender Verkehrsprobleme an Grenzen, gerade in den aufstrebenden Megastädten der Schwellenländer.

 

 

Wieland Ratz, Vorsitzender des CarSharing am Bodensee e.V. (45) aus Friedrichshafen und Jutta Eggers (49) aus Lindau am Bodensee sind seit einigen Jahren begeisterte Carsharing-Nutzer. Foto: epd-bild/Hanna Spengler

 

 

 


Doch auch in der ländlichen Bodenseeregion findet das Car-sharing viele Anhänger. Rund 200 Nutzer aus Firmen und Privathaushalten teilen sich 16 Autos. "Am Anfang wog der ökologische Gedanke sehr stark", sagt Wielant Ratz vom Verein "CarSharing am Bodensee". Heute habe das "Sharing" für viele Nutzer einen pragmatischen Grund. Für Rentner, Studenten, Vielreiser und Gelegenheitsfahrer biete das Modell eine Möglichkeit, mobil zu sein, ohne dabei den Kostenfaktor Auto alleine tragen zu müssen.

Gefragt seien vernetzte Konzepte, sagen auch die Kelkheimer Zukunftsforscher. Konzepte, die mehr Flexibilität und Individualität im Massenverkehr ermöglichen - abseits vom eigenen Mittelklassewagen.

 

Neue Konzepte basieren auf sozialen Netzwerken

 

Gewachsene Netzwerke und individuelle Lösungen sind auch bei der Zustellung von Paketen durch die DHL im Gespräch. Das Pilot-Projekt "my.ways", das voraussichtlich in diesem Jahr außerhalb Deutschlands getestet werde, sei ein Konzept, das auf sozialen Netzwerke beruhe, sagt Dunja Kuhlmann, Pressesprecherin der Deutschen Post. Es ginge dabei um eine zusätzliche Zustelloption für Pakete in großen Städten.

 
Die Idee: Sobald das Paket im DHL-Servicepoint ankommt, kann der Empfänger es als "my.ways-Paket" kennzeichnen. Daraufhin könnten die vorher registrierten Boten, sogenannte "my.wayer", ein solches Paket mitnehmen und dem Empfänger auf dem für sie günstigsten Weg zustellen. Dabei erfolgt die gesamte Kommunikation zwischen Boten und Empfängern über soziale Plattformen.

Was für Pakete gilt, gilt auch für das individuelle Vorankommen, meint Zukunftsforscher Thomas Huber: "In Zukunft werden wir unterwegs entscheiden, welches Verkehrsmittel das passende ist, werden unser Gepäck abgeben oder parallel schicken, Fahrpläne und Umstiege spontan abrufen und entscheiden." Die "Fixierung auf ein Fortbewegungsmittel" gelte dann nicht mehr.

 

"Globale Dynamik, rasender Stillstand, gereifter Fortschritt"

 

Voraussetzung sei ein Mentalitätswandel. "Wir müssen uns in unserer Mobilität mehr helfen lassen und damit einen Teil unserer gefühlten Souveränität abgeben", sagt er. Dabei sei es schon jetzt ein langfristiger Trend, dass der Eigentumswunsch beim Auto zurückgehen: "Wir brauchen unser Auto nur punktuell, warum also zahlen - für ein Objekt, das zu 90 Prozent ungenutzt bleibt, hohe Folgekosten verursacht und drastisch an Wert verliert?" Und als Statussymbol hat das Auto bei vielen jungen Menschen schon länger ausgedient.

 

Das Institut für Mobilitätsforschung, eine Forschungseinrichtung von BMW, skizziert in ihren Zukunftsprognosen für 2030 drei Szenarien: "Globale Dynamik", "rasender Stillstand" und "gereifter Fortschritt". Der eigene Wagen wird demnach auch 2030 als "automobiles Leitbild" vor allem in strukturschwachen ländlichen Regionen die Zukunft prägen. Gleichzeitig aber werde die durchschnittliche Zahl der Pkw pro deutschem Haushalt 2030 gesunken sein.

 

Aber eines ist allen Zukunftsszenarien gemeinsam: Egal mit welchem Verkehrsmittel, Mobilität wird 2030 genauso wichtig sein wie heute. Auch wenn sich Mobilität in der Mitte der Gesellschaft meist in regelmäßigen Pendelbewegungen zwischen Arbeitsstelle und Wohnung erschöpft: "Wer nicht ausgeschlossen werden, sondern dazugehören will, muss mobil sein oder doch zumindest Mobilität inszenieren können", urteilt Markus Schroer, Soziologieprofessor an der Philipps-Universität Marburg.

 

Quelle: epd /01.01.2012

 

Meldung

Scheidegger Friedenspreis

Ehemaliger Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche Christian Führer ausgezeichnet

Scheidegg (epd). Der Friedensaktivist und ehemalige Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer (68), wird an diesem Samstag (1. Oktober) mit dem Scheidegger Friedenspreis ausgezeichnet. Führer habe mit seinen montäglichen Friedensgebeten wesentlich dazu beigetragen, die friedliche Wiedervereinigung des deutschen Volkes zu erreichen, sagte der Preisstifter, Unternehmer Manfred Przybylski, am Montag dem epd.

 

Mit Kerzen und Gebeten und dem "Langzeitatem eines Marathonläufers" habe Führer, der 2008 seine Dienstzeit in Leipzig beendete, das DDR-Regime ins Wanken gebracht, so Przybylski, der früher die Tagungsstätte der Konrad-Adenauer-Stiftung am Comer See leitete. Am 9. Oktober 1989 seien es etwa 70.000 Menschen gewesen, die im Anschluss an das wöchentliche Friedensgebet des Gemeindepfarrers gewaltfrei durch Leipzig gezogen seien. Mit dem Preis soll an das Wunder der friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR erinnert und Menschen gewürdigt werden, die in besonderer Weise dazu beigetragen haben, wie die Veranstalter mitteilten.

 

Mit Führer werde ein Mann ausgezeichnet, für den Glaube und Politik zueinander gehörten, erklärte die Scheidegger Pfarrerin Ingrid Ossig. Dies werde in Führers Leitspruch "Altar und Straße gehören zusammen" deutlich. Er könne für junge Menschen als Vorbild gelten, "der für seine Überzeugung eingetreten ist und sie lebt", so Ossig, die auch Jury-Mitglied ist. Der Preis trage dazu bei, dass die Themen Frieden, Einheit und Zukunft den jungen Menschen vermittelt würden, erklärte der Scheidegger Bürgermeister Ulrich Pfanner (CSU).

 

Den Scheidegger Friedenspreis vergibt eine Jury, der die beiden großen Kirchen, der Bürgermeister und Vertreter der Fraktionen im Gemeinderat sowie der Stifter des Preises angehören. Die Scheidegger Friedenstaube aus Porzellan wird bereits zum dritten Mal vergeben. 2009 erhielt die Auszeichnung der evangelische Pfarrer und letzte Minister für Abrüstung und Verteidigung in der DDR, Rainer Eppelmann, 2010 der letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière.

 

In der Marktgemeinde Scheidegg im Westallgäu wird neben der Friedenspreisverleihung jedes Jahr am 3. Oktober ein ökumenisches Friedensgebet in der Hubertuskapelle Forst gehalten. In diesem Jahr findet das Friedensgebet am 1. Oktober um 18.30 Uhr statt. An der ökumenischen Kapelle, die 1988 eingeweiht wurde, wachsen Kastanien, deren Samen aus Ostberlin stammen.

 

Internet: www.scheidegg.de

 

 

Feature

Tante Emma ist wieder da!

Dorfladen-Initiativen von Bürgern bringen Leben in abgelegene Ortschaften

 

Von Hanna Spengler (epd)

 

Sie heißen "S'Lädle", "Markt-Treff" oder "Unser Laden": Von Bürgern geführte Dorfläden sind die neuen Garanten der Nahversorgung in vielen abgelegenen Ortschaften. Im Dorfladen im bayerischen Krugzell (Markt Altusried) arbeitet selbst der Geschäftsführer, der 67-jährige Reinhold Hipfl, mit etwa 40 Stunden pro Woche ehrenamtlich. Rund 200 bürgerschaftlich geführte Dorfläden gibt es bundesweit - Tendenz steigend. Denn auf dem Land schließen immer mehr kleine Lebensmittelhändler. Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (Berlin) spricht von einem Schwund von etwa 40 Prozent in den vergangenen zehn Jahren.

 

"Wenn der letzte Laden vor Ort schließt, ist das schlimm für die Bürger", sagt Günter Lühning, Sprecher des Dorfladen-Netzwerks Niedersachsen. Vor neun Jahren hat er deshalb für das 520-Einwohner-Dorf Otersen an der Aller den 140 Quadratmeter großen Dorfladen "von Bürgern für Bürger" mitgegründet. Der Slogan des Geschäfts: "Wer weiter denkt, kauft näher ein."

Das Konzept geht auf: Rund 300.000 Euro Umsatz macht die Dorfladen-Bürgergesellschaft in Otersen jährlich. Täglich kommen durchschnittlich 100 Kunden. Kein Wunder: Der nächste Discounter ist 15 Kilometer entfernt.

Der Dorfladen, sagt Lühning, "ist mehr als nur Lebensmittelgeschäft". Alleinlebende Menschen fänden eine Anlaufstelle, Kinder lernten durch den Laden am Eck den Umgang mit Taschengeld, das Geschäft sichere die Lebensqualität im Dorf und diene dem sozialen Miteinander.

 

Das Besondere an den Dorfladen-Initiativen ist die emotionale und finanzielle Bindung der Bürger an ihren Laden. Für das Projekt in Otersen mit einem Startkapital von 60.000 Euro mussten die Gesellschafter mindestens 250 Euro in den gemeinsamen Topf werfen, mittlerweile gibt es 110 Anteilseigner. Jede Dorfladen-Aktie entspricht einer Stimme bei Entscheidungen über die Zukunft des Projekts.

Auch in den Westallgäuer Dörfern Haslach und Primisweiler ist das Prinzip Dorfladen erfolgreich. Die Schomburger Dorfläden eG betreibt an beiden Standorten je einen Laden und macht insgesamt 600.000 Euro Jahresumsatz. "2007 hatten innerhalb eines Jahres die einzigen Läden in beiden Orten zugemacht", erinnert sich Geschäftsführer Albert Beaumart. Für die erste "Notversorgung" sorgte ein Bäckerei-Verkaufsstand, 2008 seien dann die beiden "Bürgerläden" eröffnet worden.

 

Durch die Dorfläden werden Arbeitsplätze gesichert, regionale Hersteller unterstützt und Versorgungslücken geschlossen. Auch der integrative Gedanke wird dort gelebt: Jeweils zwei Vormittage pro Woche arbeiten zwei Menschen mit Behinderung im "Unser Laden" in Haslach mit. "Auch das Engagement von Ehrenamtlichen sorgt in vielen Dorfläden für Wirtschaftlichkeit", sagt Beaumart.

 

"Die Bürger fühlen sich ihren Dorfläden eng verbunden", weiß Beaumart. "Nach dem Motto: Das ist mein Laden, da steckt mein Geld drin." Für ihn ist klar: "Wir wollen uns kein großartiges Geldpolster anlegen, Hauptsache, die laufenden Kosten sind durch den Verkauf gedeckt."

Michael Friedrich, Geschäftsführer der "Dorfladen Allgäu GmbH" in Niederrieden, warnt jedoch vor falscher Sozialromantik. "Wichtig sind konkurrenzfähige Preise und attraktive Angebote, sonst bleiben die Kunden weg."

 

Für die Kundenbindung müssten sich auch die Bürgerläden anstrengen: Von der Sonderbestellung der Joghurt-Lieblingssorte, regionalen Produkten wie "Bauernhof Eis" bis hin zum Geschenkkorb für Vereine und Jubiläen bieten die modernen "Tante Emmas" besonderen Service. Lottoannahmestellen, Grillfeste oder Lieferservice für ältere Menschen steigern die Attraktivität.

 

Die Anlaufphase für einen "Bürgerladen" sei kürzer als für ein Privatunternehmen, sagt der bayerische Unternehmensberater Wolfgang Gröll, seit 15 Jahren Spezialist für Dorfläden. "Es fallen keine Zinsen an, da diese Geschäfte zu hundert Prozent über Eigenkapital funktionieren." Etwa 90 Prozent der seit 1995 gegründeten Dorfläden, die von ihm betreut wurden, existierten noch. Ein Drittel dieser Läden habe bereits im ersten Jahr schwarze Zahlen geschrieben, der Rest spätestens in zwei bis drei Jahren.

 

"Ohne des wär's schlimm!", sagt Irmgard Freisinger (76), Stammkundin im Dorfladen Krugzell über ihr Geschäft. Für die meisten Kunden sei der Dorfladen ein wichtiger Treffpunkt, betont auch Elisabeth Gutmann, Regionalmanagerin für den Landkreis Weilheim-Schongau. "Früher konnten wir nur noch zum Friedhof", hört sie oft bei Laden-Neueröffnungen, "jetzt haben wir wieder einen Laden".

Internet: www.dorfladen-netzwerk.de (2066)

 

 

Feature

Alleinerziehend: "Am Anfang habe ich nur funktioniert"

 Familien - Alleinerziehende Mütter und Väter stehen oft unter hohem Leistungsdruck. Neben Beruf und Kinderbetreuung bleibt ihnen kaum Zeit für die eigene Erholung. Dem jüngsten Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zufolge können Alleinerziehende mit einem Erstklässler grundsätzlich ganztags arbeiten, wenn ein Schülerhort bis 17 Uhr zur Verfügung steht. Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter findet das realitätsfremd.

 

Durch den Tod seiner Partnerin wurde Dietmar Franzen vor zwei Jahren alleinerziehender Vater. "Sie hat noch unsere Tochter ins Bett gebracht. Dann brach sie aufgrund einer Gehirnblutung auf der Toilette zusammen", erinnert sich der 36-jährige Steinmetz, der mit seiner vierjährigen Tochter Carina in einem Westallgäuer Dorf in der Nähe von Leutkirch lebt.

 

"Kaum Freizeit, körperliche und seelische Überbelastung"

 

Die Erfahrung, plötzlich für die Erziehung alleine verantwortlich zu sein, müssen viele Elternteile machen. Das Schicksal der Familie Franzen ist aber eher untypisch: Etwa 90 Prozent der rund 16,6 Millionen Alleinerziehenden in Deutschland sind dem Statistischen Bundesamt zufolge Frauen. Zudem ist in etwa 19 von 20 Fällen nicht der Tod eines Partners, sondern das Scheitern der Beziehung der Auslöser.

So wie bei Miriam Willer (Name geändert). "Alleinerziehend sein, heißt kaum Freizeit, körperliche und seelische Überbelastung, Zukunftsängste und viel Bürokratie", klagt die 36-Jährige, die sich bereits vor der Geburt ihres inzwischen dreijährigen Sohns von dessen Vater getrennt hatte. "Alles machst du alleine, du hast keine Zeit mehr für Sport, wirst misstrauisch beäugt und lebst irgendwie abseits der Gesellschaft."

Auch beruflich geraten Alleinerziehende leicht ins Abseits. Nur knapp 60 Prozent der Alleinerziehenden konnten 2009 laut Statistischem Bundesamt ihren Lebensunterhalt überwiegend aus Erwerbstätigkeit decken; 41,7 Prozent hatten monatlich weniger als 1.300 Euro zur Verfügung.

 

"Die volle Berufstätigkeit ist realitätsfern"

 

Vorwürfe wie "Die hängen doch eh den ganzen Tag vor dem Fernseher" seien völlig fehl am Platz, stellt Sozialpädagogin Kirsten Klockhaus von der Psychologischen Beratungsstelle in Sonthofen klar. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Birgit Raimund leitet sie eine Gruppe für Alleinerziehende. Die Frauen bemühten sich sehr, wieder ins Berufsleben zurückzufinden. "Sie stehen unter einem unglaublichen Leistungsdruck."

 

Die volle Berufstätigkeit während einer bis 17 Uhr dauernden Hortbetreuung sei jedoch eine realitätsfremde "Just-in-time-Rechnung", sagt Edith Schwab, Bundesvorsitzende des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter. Sie kritisiert insbesondere das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs, das vorsieht, dass Alleinerziehende mit einem Erstklässler ganztags arbeiten können, wenn ein Schülerhort bis 17 Uhr zu Verfügung steht. Das Gericht lasse außer Acht, dass selbst bei kurzen Wegen eine alleinerziehende Mutter auf ihre Mittagspause verzichten müsste, um ihr Kind pünktlich abholen zu können.

 

Wenn die Mütter nach einem vollen Berufstag "mit dem Kind am Bein" noch einkaufen, kochen, waschen und putzen sollten, kritisiert Schwab, bliebe ihnen keine Zeit für ganz normale Zuwendung wie Gespräche und Spiele mit dem Kind. "Von der eigenen Erholung ganz zu schweigen."

"Wir helfen den Betroffenen, Ressourcen aufzudecken und offen über ihre Gefühle zu sprechen", sagt Birgit Raimund über die Arbeit in ihrer Gruppe. "Da können auch mal die Tränen laufen, da kann ich mich schwach zeigen, wirklich mal Frau sein", sagt Miriam Willer. "Und ich kann die Wut auf den Ex-Partner rauslassen oder über Ungerechtigkeiten schimpfen."

 

Stabiles soziales Netzwerk hilft

Für Franzen wäre eine Selbsthilfegruppe nicht das Richtige. "Ich geh lieber raus in die Natur, wenn mir alles zu viel wird." Jeden Morgen bringt er seine Tochter nach dem gemeinsamen Frühstück zum Kindergarten. Große Unterstützung habe er durch sein persönliches Netzwerk im Dorf erfahren. "Die Nachbarn spielen mit Carina, die Oma holt sie mittags vom Kindergarten ab." Auch die Frau eines Auftraggebers habe schon auf die Vierjährige aufgepasst.

 

Der Verlust des Partners bedeute immer eine belastende und anstrengende Zeit, sagt Antje Asmus vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter. Dennoch sei es wichtig, sich um Hinterbliebenenrente, Halbwaisenrente und um das Erbe zu kümmern. "Auch Schulden können vererbt werden", warnt Asmus.

 

Auch bei Trennung und Scheidung durchlebten die Alleinerziehenden ein Wechselbad der Gefühle. Trotzdem müsse man sich der Bürokratie stellen, sich mit Sorge- und Umgangs- sowie Unterhaltsregelungen vertraut machen. Wohlfahrtsverbände, Kirchen und viele Vereine böten Beratung und Unterstützung an. Für die Kinder- und Jugendhilfe sei grundsätzlich das örtliche Jugendamt zuständig, erklärt Asmus. Bei der jeweiligen Gemeinde könnten sich die Betroffenen erkundigen, welche Stelle konkret zuständig sei.

"Am Anfang habe ich nur funktioniert", erinnert sich Franzen an die schwere Zeit nach dem Tod seiner Partnerin. Inzwischen gebe ihm die Entwicklung seiner Tochter Carina wieder Zuversicht. "Wenn ich sehe, wie sie Fortschritte macht, dann denk ich mir: Das pack ich schon."

 

Quelle: epd/evangelisch.de

 

Buchhinweis: Allein erziehend - Tipps und Informationen. Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Bundesverband e.V. - VAMV (Hrsg.), Berlin 2010, 208 Seiten.

 

 

 


Korrespondentenbericht

Auf der Suche nach dem inneren Reichtum

Mehr als 3.000 Buddhisten meditieren beim internationalen Sommerkurs in Immenstadt

Doris Gallmayer (36) aus Innsbruck sitzt aufrecht, ihre Augen sind nach vorne gerichtet. Vor ihr auf dem weißen Teppich des Gebetsraums (tibetisch: Gompa) steht ein prächtiger Strauß bunter Rosen. Auf der Fensterbank reihen sich Buddha-Figuren. "In der Meditation erinnern wir uns an unseren inneren Reichtum", sagt sie. Die junge Frau ist eine von mehr als 3.000 Buddhisten aus übers 50 Ländern, die am 19. Internationalen Sommerkurs des Buddhistischen Dachverbands Diamantweg (BDD) rund um das Europa-Zentrum in der Nähe von Immenstadt teilnehmen. Das Sommercamp endet am 14. August.

Die Stimmung auf dem Gelände rund um die 850 Meter hoch gelegene Jugendstil-Villa "Gut Hochreute" erinnert an ein Musik-Festival. Bunte Zelte stehen auf der Wiese, Menschen in Gummistiefeln und mit Bändchen an der Hand laufen über das Terrain. Auf Bierbänken sitzen Teilnehmer in der Sonne, es gibt Dixi-Klos, eine Wäscheannahme und Spielmöglichkeiten wie "Slackline" auf der Wiese. "Wir haben dieses Jahr mehr Teilnehmer als im Vorjahr", sagt Nadja Graf, Pressesprecherin des Europa-Zentrums. Vor allem junge Familien mit Kindern seien häufig vertreten.

 

Im 650 Quadratmeter großen Meditationszelt läuft wie jedes Jahr die Phowa-Meditation, die Praxis des "bewussten Sterbens", die im tibetischen Diamantweg-Buddhismus seit hunderten von Jahren überliefert wird. Die Zuhörer sitzen auf Decken, Matten und Meditationskissen, teilweise in Decken gehüllt. Einige meditieren mit geschlossenen Augen. Lehrmeister ist Lama Ole Nydahl. In seinem körperbetonten roten T-Shirt ähnelt der athletische 70-jährige Däne mit dem kräftigen Händedruck eher einem US-amerikanischen Sportlehrer als dem Klischee eines buddhistischen Oberhaupts. Die Meditation ist auf Englisch und wird in fünf Sprachen übersetzt.

 

"In dem Kurs lernen die Teilnehmer, wozu der Geist alles fähig ist", sagt Nydahl. Die Phowa-Meditation erleichtere den Sterbeprozess und eröffne Möglichkeiten für eine weitere Entwicklung. Gerade hat Nydahl ein neues Buch geschrieben "Von Tod und Wiedergeburt: Woher wir kommen - wohin wir gehen". Darin beschreibt der Lama Erfahrungen im Verlauf des Sterbens.

Im Essenszelt, dem "Dining Tent", gibt es neben der Essensausgabe zahlreiche Infostände, Kontaktbörsen, eine Cafeteria und das Jobcenter, bei dem sich jeder für einen Dienst registrieren kann. Im neu errichteten "Trockenzelt" dürfen nasse Campingsachen aufgehängt werden. "Neu ist in diesem Jahr auch eine 12-stündige anstatt einer 72-Stunden-Meditiation", sagt Graf. Die Teilnehmer sollten nachts nicht mehr im kalten Zelt sitzen und frierend meditieren.

 

Wie Graf betont, sei das Sommercamp für viele auch ein großes internationales Wiedersehen von Freunden und alten Bekannten. Insgesamt 200 ehrenamtliche Helfer hätten vor dem Kurs die Planung des Sommercamps übernommen. Während des Kurses würden weitere 500 Teilnehmer ehrenamtlich mithelfen. Sie seien zu unterschiedlichen Teams zusammengefasst, vom Putzteam, über das "Küchenteam" bis zum "Welcome Team", dem Berüßungsteam. Es gibt Übersetzer, Techniker und Teilnehmer, die den Shuttleservice übernehmen.

 

Die Venezuelanerin Bianca Samaniego (32) aus Konstanz ist bereits zum vierten Mal beim Buddhistentreffen in Immenstadt dabei. "Ich treffe hier Menschen aus der ganzen Welt, plane mit ihnen Projekte, tausche mit ihnen Ideen und Perspektiven aus." Sie sagt: "It' s an international meeting point" - ein internationaler Treffpunkt. Neben ihr liegt Agata Adamiec mit Sonnenbrille auf der Couch. Die 31-jährige aus Polen ist seit neun Jahren Buddhistin und "chillt" wie sie sagt gern ein wenig im Entspannungsbereich des Essenszelt. "Ich geh nicht jede Session ins Meditationszelt", gibt sie zu.

Auch bei der Spendenaktion für den derzeit geplanten Erweiterungsbau des Europacenters ist die Initiative der Kurs-Teilnehmer gefragt. "Wer möchte, kann sich einen einzelnen Dachziegel kaufen und darauf seinen persönlichen Wunsch schreiben", sagt Graf. Damit werde dann das Dach des bestehenden Jugendstilgebäudes neu gedeckt. Geplanter Baubeginn für den Neubau ist 2012.

 

Weltweit gibt es Schätzungen des BDD zufolge rund 800 Millionen Buddhisten, davon praktizieren rund 200.000 in Deutschland; davon etwa 100. 000 Einwanderer aus Asien. Der BDD vertritt nach eigenen Angaben 145 Zentren und Gruppen der Karma-Kagyü-Linie in Deutschland. 620 Zentren sind es weltweit. Die tibetische Karma-Kagyü-Tradition hat ihre Wurzeln im 11. Jahrhundert in Tibet und ist heute sowohl dort als auch im Westen weit verbreitet. Der Buddhismus ist die viertgrößte Religion der Welt und vorwiegend in Süd-, Ost- und Südostasien verbreitet.

 

Internet: www.diamantweg.de;www.international-summercourse.org; (1745/b112470-71)

(Artikel vom 07.08.2011)

 

 

 

Die Wildnis ist sein Königreich

 

"Schamanenexperte" Wolf-Dieter Storl lebt abgeschieden auf einem Einödhof im Allgäu

 

Von Hanna Spengler (epd)

 

Die Augen des "Schamanen des Allgäus" leuchten, während er seinen Garten durchstreift. Fast zärtlich reibt der 67-Jährige das Blatt einer Minze zwischen den Fingern, knipst dann eine grüne Zuckerschote ab. Seit 1988 lebt der deutsch-amerikanische Ethnobotaniker und Kulturanthropologe Wolf-Dieter Storl auf einem abgeschiedenen Einödhof in 850 Metern Höhe bei Isny im Allgäu. Mit Vorträgen, Kräuterwanderungen und mehr als 30 Buchtiteln zu Pflanzenheilkunde, Gartenbau und Schamanismus ist der Idealist überregional bekanntgeworden.

 

"Baseball war nichts für mich, aber die Wildnis war mein eigenes kleines Königreich", erinnert sich der Mann mit dem amerikanischen Akzent an seine Kindheit. Bei den Cheyenne-Indianern in den "Big Horn Mountains" in Wyoming hat er erfahren, dass Pflanzen eine geistige Energie haben, "eine spirituelle Dimension". "Ich betrachte sie als überbewusste Wesenheiten. Jede Pflanze ist Ausdruck einer bestimmten Intelligenz", sagt Storl.

 

Als Wolf-Dieter Storl elf Jahre alt ist, wandern seine Eltern von Sachsen nach Ohio aus. Der Pflanzenbegeisterte studiert dort Botanik, wechselt dann zur Völkerkunde. Bereits als 24-Jähriger unterrichtet er Soziologie und Anthropologie. Rund zwanzig Jahre lang lehrt Storl als Dozent und College-Professor an unterschiedlichen Universitäten in den USA, Indien und Europa. Er erhält Lehraufträge in Wien, in Oregon, in Genf und an der Universität Bern, wo er 1974 den Doktorgrad erwirbt. Seine Dissertation verfasst er über den Schamanismus. Ein Thema, von dem auch sein neustes Buch "Die Wurzeln unserer Spiritualität" handelt, das an diesem Mittwoch (15. September) erscheint.

1978 lernt Storl im schweizerischen Emmental den Bergbauern und Mystiker Arthur Hermes kennen, der ihn für sein Leben prägt. "Für ihn war die ganze Natur lebendig und bewusst", sagt Storl. "Seine Tiere konnte er praktisch mit den Gedanken rufen." Den alten Medizinmann der Cheyenne, Bill Tallbull, trifft Storl während seiner Zeit als Dozent am Sheridan College in Wyoming. Mit dem Indianer streift er durch die Natur, lernt von ihm die Heilkraft der Pflanzen, der "grünen Verwandten", kennen.

 

Seit "nunmehr 22 Wintern" lebt der Botanik-Experte mit seiner Familie im Allgäu. Im Winter ist er oft wochenlang eingeschneit, Besucher kommen selten. "Die Einsamkeit ist bewusst gewählt", betont der Hausherr. "In Dörfern kann man nicht zurückgezogen leben", sagt er und schaut dabei auf einen seiner drei Hunde, der mit der ebenso großen Katze im Gras tollt. "Hier oben geht es einigermaßen."

Storls Arbeitsjahr folgt dem Rhythmus der Natur. Im Sommer ist er viel unterwegs, ist gefragter Referent bei Kongressen und gibt Kräuterseminare. Von Oktober bis zum Frühling zieht sich der Autor in sein Haus zurück, meldet sein Auto ab, arbeitet an seinen Büchern, meditiert. "Die Zurückgezogenheit, die Stille, das ist gut für meine Arbeit", erklärt er. "So kann ich meinen Gedanken in die Tiefe folgen."

Storls exotisches Aussehen ist Zuschauern aus TV-Talkshows bekannt: Seine Dreadlocks sind zum Pferdeschwanz gebunden. Sein Bart kringelt sich bis zur Brust. Auch wenn Storl zum Interview barfuß erscheint, mit dem wissenschaftlichen Anspruch seines Werkes ist es ihm ernst. "Ich bin kein Schamane", betont er mit Blick auf seinen Medienruf als pflanzenverliebter Zaubermann. "Schamanen ordnen die geistige Atmosphäre, sind mit den Geistern des Landes, den Tieren, Pflanzen und heiligen Orten verbunden - ich bin eher Schamanen-Experte".

Seine Liebe zu den Pflanzen und sein umfassendes botanisches Wissen wird im prachtvollen Gemüsegarten des Hauses, einer "ehemaligen Brennnesselwüste",  deutlich. Kräuter, Kohl und Mangold wachsen dort, daneben gedeihen Fenchel, Rote Bete und Zuckermais. Auf den Wegen zwischen den Beeten sprießt Kamille. Nutzpflanzen und Zierpflanzen bilden einen bunten Mix. "Das ist gut für die Harmonie, Schmetterlinge und Bienen fühlen sich wohl", erläutert Storl und erwähnt stolz seinen Komposthaufen: "Das wichtigste im Garten".

 

Bei seinen Kräuterwanderungen versucht Storl, den Teilnehmern die Pflanzenwelt nahezubringen. "Man muss sich Zeit nehmen, um die Natur zu erleben, muss anhalten und lauschen", rät der Botaniker und kritisiert: "Wer lässt sich heute noch inspirieren, wer läuft heute noch barfuß und denkt in freier Wildbahn nicht eher an Zecken und Fuchsbandwürmer?" "Wir müssen uns rückbesinnen, sonst sind wir wie Pflanzen ohne Wurzeln."

 

Storls neuestes Projekt ist ein Buch über Neophyten. Das sind Pflanzen wie die Beifuß-Ambrosie und die Herkulesstaude. "Einige davon lösen richtige Ängste aus", betont der Wahlallgäuer. Er will nun herausfinden, wo sie vorkommen, welche Anwendungen sie haben, "Ehe man eine Pflanze verdammt, sollte man wissen, woher sie kommt", sagt Storl. Mit seinen Untersuchungen hat er bereits begonnen. Er hat einen langen Winter Zeit. (1622/b101150, b101151)

(Artikel vom 14.09.2010)